Gregor VII.: Dictatus Papae

Gregor VII.: Dictatus Papae
Gregor VII.: Dictatus Papae
 
Nachdem Papst Alexander II. 1073 gestorben war, wurde bereits am folgenden Tag in tumultuarischer Wahl der Archidiakon Hildebrand zum Papst erhoben; mit dem Papstnamen Gregor VII. stellte er bewusst die Beziehung zu Gregor I. her. Hildebrand hatte an der Kurie bereits seit 1046 eine Rolle gespielt; unter den Päpsten Nikolaus II. und Alexander II. galt er als federführend bei allen wichtigen Entscheidungen. Bei dem Epoche machenden Dictatus Papae, der im März 1075 in das päpstliche Briefregister eingetragen wurde, handelt es sich um einen Text, der zwar nicht nach außen drang und auch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war, der aber zentrale Themen in unerhört deutlicher Weise behandelt. Da die 27 Sätze nicht systematisch geordnet sind (sogar eine Dublette befindet sich darunter), liegt hier wohl eine Art Gedächtnisprotokoll vor, das möglicherweise unbeabsichtigt in das Register gelangt ist.
 
Als wichtigste Grundaussage nimmt der Text an mehreren Stellen eine absolute Sonderstellung für die römische Kirche als eine unmittelbar von Christus errichtete Institution sowie für den Bischof von Rom, der sich allein allgemeiner Bischof und Papst nennen dürfe, in Anspruch. Mehrere Sätze befassen sich mit der Jurisdiktion des Papstes, der bei der Verurteilung von Bischöfen nicht auf das Urteil von Synoden angewiesen sei und der die Führung aller wichtigen Prozesse beanspruchen könne. Zu erklären ist diese extreme und bis dahin nicht gekannte Betonung der päpstlichen Obergerichtsbarkeit mit Gregors Absicht, Ämterkauf (Simonie) und Priesterehe zu bekämpfen. Wegen der mangelnden Organisation der römischen Kurie waren diese Forderungen zur Zeit Gregors zwar noch nicht zu verwirklichen, aber sie machen doch deutlich, welche Zielvorstellung die römische Kirche in dieser Zeit bereits vor Augen hatte.
 
Über das Eingreifen des Papstes in den weltlichen Bereich enthält der Text zwei Aussagen. Hiernach sollte der Papst dazu berechtigt sein, nicht nur die Untertanen ungerechter Herrscher von ihrem Treueid zu entbinden, sondern auch den Kaiser selbst abzusetzen, eine für die damalige Zeit ungeheuerliche Provokation der weltlichen Gewalt. Wenn man heute auch davon abgekommen ist, dass Gregor VII. in seinem Dictatus Papae ein Regierungsprogramm formulierte, so ist doch als bemerkenswerte Neuerung festzuhalten, dass hier erstmalig - gegen die gesamte Tradition des Kirchenrechts - dem Papst Eingriffsrechte in den weltlichen Bereich zugesprochen wurden. Gregor VII. sollte sie wenig später in der praktischen Politik in Anspruch nehmen.

Universal-Lexikon. 2012.

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